Besonders durch die Konsequenzen der Corona-Situation wird derzeit in der medialen Öffentlichkeit wie auch im fachlichen Diskurs die Bedeutung der Digitalität im Rahmen von schulischer Bildung in den Fokus gerückt. Natürlich erschöpft sich der Diskurs nicht vor dem Horizont der Pandemie und ihren Auswirkungen auf schulische Bildung, z.B. drohende Schulschließungen und Homeschooling. Von verschiedensten Akteuren in der Bildungsdiskussion werden verschiedene, teils äußerst differenzierte Standpunkte vertreten.
Im Rahmen eines Praktikums an einer bairischen Mittelschule konnte ich zahlreiche Eindrücke in der Praxis sammeln. Die Schule bot eine zeitgemäße technische Infrastruktur und Ausstattung, z.B. Whiteboards, Tablets für bestimmte Klassen, sogenannte „Tablet-Klassen“. Die Schülerinnen und Schüler einer solchen Klasse bekamen unter anderem Aufgaben gestellt, die sie innerhalb eines Wochenplans erledigen mussten. Hierzu wurde sich auch der „Learning Apps“ bedient. Diese bieten Pädagogen/-innen die Möglichkeit, kleine bausteinartige Aufgaben auf digitalen Endgeräten von den Schülerinnen und Schülern bearbeiten zu lassen. Im Folgenden möchte ich kurz den Nutzen dieser Apps, besonders vor dem Horizont zeitgemäßer digitaler Bildung kritisch reflektieren und dabei sowohl deren Vor-, als auch Nachteile skizzieren. Ich beziehe viele Gedanken und Ansätze mit ein, die ich in einem Seminar zu „Zeitgemäßem Deutschunterricht“ gewonnen habe.
Als Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung möchte ich ein Zitat einer Lehrerin verwenden. Sie schilderte, sie habe beobachtet, dass viele Schüler/-innen bei der Bearbeitung der Learning-Apps-Aufgaben die Gewohnheit entwickelt hatten, die Aufgabenstellung z.B. einer Zuordnungsaufgabe nicht mehr zu lesen, sondern durch ein haptisches Trial & Error Verhalten zur Lösung zu gelangen, die durch eine Grünfärbung der korrekten Antwort markiert wird. Diese Beobachtung, die in entsprechenden Foren häufiger genannt wird, führt zu einem zentralen Kritikpunkt an diesem Format. Es drängt sich der Verdacht auf, dass im Rahmen der Nutzung solcher Apps, lediglich eine Fortführung althergebrachter Unterrichtskonzeptionen im neuen Gewande digitaler Technik vollzogen wird. Die eigentlichen Vorzüge des Einzugs digitaler Technik in den schulischen Alltag werden so leider vernachlässigt. Als Hintergrund einer sinnvollen Einbindung der Digitalität möchte ich kurz auf das 4K-Modell hinweisen: Kommunikation, Kooperation, Kreativität und Kritisches Denken markieren dessen tragende Säulen. Es scheint sich vor diesem Horizont eine Transformation des Selbstverständnisses institutionalisierter Bildung abzuzeichnen, hin zu einer selbstbestimmten Lerner-Persönlichkeit.
Das dem hier thematisierten Tool zugrundeliegende Design ist geschlossen, der Lerner befindet sich sozusagen in einer „Black Box“. Allein die Tatsache, dass die zu bewältigenden Aufgaben (Zuordnung, Multiple-Choice, Quiz,…) auf der leuchtenden Oberfläche eines Tablets präsentiert werden, ist didaktisch nicht überzeugend vor dem genannten Hintergrund. Das Kriterium der Interaktivität kann nicht unbedingt auf diese Weise erfüllt werden. Der didaktische Spielraum der Nutzung dieser Lernbausteine ist eher gering, da die Nutzung stark fixiert ist. Die präsentierten Aufgaben könnten gleichfalls auf Arbeitsblättern realisiert werden. Insofern ist die Frage nach analogen Alternativen zu den Learning-Apps nicht sonderlich relevant. Zwar können Lehrkräfte bei der Erstellung der Bausteine ihre eigenen Ideen umsetzen, die Aktivierung der Schüler/-innen zu einem kreativen Prozess aber wird so nicht befördert. Eine Möglichkeit hierzu böte sich in einer Umkehrung des zugrundeliegenden Prinzips: Schülerinnen und Schüler könnten selbst Learning-Apps zu relevanten Inhalten erstellen. Die pädagogische „Top Down“-Struktur, die dem Design zugrunde liegt, hat natürliche viele institutionelle und strukturelle Ursachen, z.B. bindende curriculare Vorgaben, Dominanz eines althergebrachten Selbstverständnisses der Schüler- und Lehrerrolle, etc.
Es eignen sich die Learning-Apps meiner Ansicht nach eher für hierarchieniedrigere, konkrete Lernziele, das Feedback zum Ergebnis wird ohne Verzögerung gegeben. Durchaus können sie ja in komplexeren didaktischen Settings als Elemente verwoben werden. Insgesamt scheinen sie jedoch eher mit der althergebrachten Plandidaktik, als mit moderner, auch als „agil“ bezeichneter didaktischer Konzeptionen kompatibel zu sein.
Ein Vorteil für die Pädagoginnen und Pädagogen besteht in der Möglichkeit, selbst digitale Aufgabenformate auch ohne tiefgreifendes technisches Wissen designen zu können und auch die erstellten Bausteine, sowie ihre Erfahrungen mit diesen untereinander austauschen zu können. Die Beobachtbarkeit individueller Ergebnisse und deren digitale Operationalisierbarkeit können positiv verbucht werden. Eine Online-Registrierung ist für Lehrerinnen und Lehrer notwendig, Schülerinnen und Schüler müssen sich für die Nutzung lediglich mit Benutzernamen und Passwort einloggen. Ein weiterer großer Pluspunkt besteht in der Tatsache, dass die Learning-Apps kostenfrei sind.
Eventuell stellen die Learning-Apps eine sinnbildhafte Stufe des Transformationsprozesses von Kultur, Technik und Bildung dar? Der Realisierungsrahmen ist bereits digital, die zugrundeliegende Konzeption hingegen eher in traditioneller didaktischer und kultureller Perspektive verhaftet.
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